Die Rolle der Ufervegetation für die Biodiversität
Wir haben im Zusammenhang mit Nutzungskonflikten, denen Familiengärten mit der Bodenknappheit zunehmend ausgesetzt sind, bereits über Revitalisierung und Renaturierung von Gewässern und ufernahen Zonen berichtet. Heute möchte ich den ökologischen Wert der Ufervegetation und des Uferbereichs (vgl. dazu insb. Art. 18 und Art. 21 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz, NHG) ins Zentrum unserer Betrachtungen rücken.
Ufervegetation und Uferbereich
Die Ufervegetation ist ein Biotop im Sinne von Artikel 18 NHG. Sie bildet den natürlichen Übergang zwischen Wasser und Land.
Seit 1966 ist die naturnahe und natürliche Ufervegetation bundesrechtlich geschützt. Leider schneiden bis heute einige Landbesitzer das Ufer immer wieder kahl, um das Entstehen einer natürlichen oder zumindest naturnahen Ufervegetation zu verhindern. Der Begriff des Uferbereichs ist weiter gefasst. Er schliesst den dynamischen Bereich der Gewässer sowie naturräumlich mit dem Ufer zusammenhängende schützenswerte Lebensgemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Flächen mit ein.
Die Ufervegetation gehört zum Gewässerraum. Das Gewässerschutzgesetz verbietet in den ausgeschiedenen Gewässerräumen den Einsatz von Düngern und Pestiziden. Zudem schreibt es für diese Räume eine extensive Bewirtschaftung vor.
Stellenwert der Ufervegetation
Natürliche Gewässer, unter Einbezug der natürlichen Ufervegetation, sind enorm wichtig für die Artenvielfalt. Dies gilt längst nicht nur für die Auen, sondern für alle strukturreichen Ufer.
Revitalisierungs- und Renaturierungsmassnahmen könnten auch die für den Erhalt der Biodiversität so wichtige Vernetzungsfunktion wiederherstellen. Seit ca. 1850 haben wir und unsere Vorfahren jedoch Gewässer verbaut, Fliessgewässer kanalisiert und das Austreten von Wasser über die Ufer verhindert. Damit verbunden ist bzw. war jeweils auch die Zerstörung von natürlicher Ufervegetation.
Trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Schädlichkeit dieses Vorgehens für die Natur gehen die aktuellen Massnahmen zur Wiederherstellung der natürlichen und naturnahen Ufervegetation viel zu langsam vorwärts. Der Bundesrat hat zwar als Teil der Biodiversitätsstrategie bereits im Jahr 2012 – mit einer Umsetzungsfrist von acht Jahren – den Aufbau und Betrieb einer ökologischen Infrastruktur beschlossen. Damit wollte er für die langfristige Erhaltung der Biodiversität Raum sichern.
Nur drei Jahre später, im 2015, hat der Bundesrat jedoch diese Frist bis 2040 hinausgeschoben. Dies, obwohl die Lage dringlich ist und die Schweiz mit 35 Prozent aller heimischen Arten und knapp 50 Prozent aller Lebensräume auf der Roten Liste zu den Industrieländern mit dem grössten Handlungsbedarf gehört. Was Schutzgebietsfläche betrifft, ist die Schweiz mit nur 10 Prozent der Landesfläche europäisches Schlusslicht (vgl. auch mein Beitrag in diesem Blog über die roten Listen vom 23. August 2023).
Ökologische Infrastruktur
Schweizer Fachtagung Ufervegetation 2024
Die Fachtagung «Ufervegetation — Gestaltung, Funktion, Ökologie» von Pro Natura, AquaViva, BirdLife, WWF und weiteren Verbänden zeichnete anfangs 2024 ein aktuelles Bild der Lage.
Die Fakten zum Zustand der Ufervegetation sind besorgniserregend. Sie stellen die Dringlichkeit von Massnahmen unter Beweis, denn der Biodiversitätsverlust schreitet auch in diesem Bereich beängstigend schnell voran.
Die Mehrzahl der Tagungsreferate findest du auf der Website von pro natura.
Die Referentin Anne-Lena Wahl von BirdLife Schweiz hat an der Fachtagung folgende Grundsätze für ein «wirksames Lebensnetz» genannt:
- Arten brauchen spezifische Lebensräume: So braucht der Sumpfrohrsänger zur Sicherstellung seiner Lebensansprüche den Lebensraum der Hochstaudenflur. Es braucht für den Uferbereich also auch auf die Zielarten zugeschnittene, differenzierte Pflegepläne für die Ufervegetation. So kann zum Schutz einer Art ein gestaffelter Schnitt des Uferbereichs förderlich sein.
- Populationen brauchen Raum: Fünf bis 17 Hektaren Raum benötigt beispielsweise eine Steinkauz-Population, abhängig von der Qualität des Lebensraums und des Nahrungsangebots.
- Das Richtige richtig miteinander vernetzen: Dabei sind die Ausbreitung der Population, die tägliche Mobilität und allenfalls die saisonale Wanderung der einzelnen Tierarten zu berücksichtigen. Bewegungshindernisse müssen beseitigt werden und die spezifisch notwendigen Lebensräume in erreichbarer Distanz vorhanden sein.
Unterlagen zur Fachtagung
Positive Einflüsse der Ufervegetation auf das Leben im Wasser
Der Zustand der Artenvielfalt am Ufer und im Wasser sind sehr eng miteinander verbunden und beeinflussen sich wechselseitig. Artengruppen wie Libellen, Amphibien und viele Insekten verbringen mindestens einen Teil ihres Lebenszyklus im Gewässer und den anderen Teil im Uferbereich oder im angrenzenden Umland. Dafür müssen neben den Gewässern die geeigneten Lebensräume vorhanden sein.
Der Klimawandel führt beispielsweise zu immer wärmeren Gewässern. Dies setzt unter anderem den Forellen in den anhaltend heissen Sommermonaten stark zu und führte auch schon zu Fischsterben. Fehlen am Uferrand Bäume und Sträucher, so fehlen dem darunterliegenden Gewässer beschattete Zonen, die den Wasserlebewesen wenigstens lokal etwas Kühlung bringen würden.
Verbesserung der Strukturvielfalt
Die Ufervegetation liefert sodann natürlicherweise Totholz (Totholz erhöht die Strukturvielfalt in Gewässern, wsl.ch). Bäume und Gehölz stürzen ins Wasser, sei es nach ihrem Absterben, sei es nach Stürmen oder unter der (ebenfalls Lebensräume gestaltenden) Einwirkung von Bibern. Davon profitieren wirbellose Kleintiere, Fische und Flusskrebse. Flusshindernisse wie Baumwurzeln sind Auslöser für Tiefenerosion bzw. die Bildung von Strudeltöpfen. Solche Kolke im Uferbereich eines Fliessgewässers oder an dessen Sohle (Boden) bilden wichtige Lebensräume für Fische. Im Winter gefrieren die Kolke wegen der grösseren Wassertiefe seltener zu und sichern damit als Unterschlupf das Überleben von Fischen. Im Sommer dienen die Kolke den Wanderfischen wie Forellen und Felchen dank der beruhigten Strömung als Rast- und Futterplatz.
Zur Regulation der Wassertemperatur scheint eine durchgehende Gewässerbeschattung richtig. Dies würde die Artenvielfalt im und am Gewässer jedoch vermindern, da Arten wie beispielsweise Libellen oder Amphibien für ihre Entwicklung auf Besonnung angewiesen sind. Optimalerweise sind entlang der Gewässer also Mosaiklebensräume, in denen sich Schatten und Licht abwechseln, anzustreben.
Bei der (Wieder-)Bepflanzung der Ufer mit wildwachsenden Pflanzen ist aber auf jeden Fall Standortgerechtigkeit wichtig. Im Idealfall verwenden die Akteurinnen und Akteure nur Pflanzen, die auch in der näheren Umgebung vorkommen und aus regionalem Saatgut stammen (vgl. zur Auswahl von wildwachsenden Pflanzen «Die Grüne Liste» von InfoFlora).
Die Grüne Liste
Ein Schlusswort
Am 22. September 2024 stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Über das Thema berichte ich ausführlich in meinem Blogbeitrag Mehr Biodiversität.
Diesen Beitrag abschliessen möchte ich deshalb mit den folgenden, aufrüttelnden Aussagen, die aus einer Studie über den «Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität in der Schweiz» des Forum Biodiversität der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften (scnat) aus dem Jahr 2013 stammen (hier findest Du die 8-seitige Kurzfassung). Zitat: «In der Schweiz reichen die aktuelle Qualität, Quantität und die Vernetzung vieler Lebensräume nicht aus, um deren Biodiversität und Ökosystemleistungen langfristig zu erhalten. Der tatsächliche Flächenbedarf ist deutlich höher als die verbliebenen Flächen.»
Anne-Lena Wahl machte an der erwähnten Fachtagung Ufervegetation (Ziff. 3) als Vertreterin von BirdLife Schweiz, gestützt auf diese Studie, folgende Aussage zur Bedeutung, welche die Ufervegetation für die Ökologische Infrastruktur hat:
«Um die Biodiversität unserer Fliessgewässer zu erhalten, brauchen wir in der Schweiz eine Verdoppelung der naturnahen Uferbereiche und eine Verdreifachung der Auenfläche.»
Anne-Lena Wahl, BirdLife Schweiz
Jacqueline Cortesi