Wie können wir Nutzungskonkurrenzen überwinden?
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der (deutschen) Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2020 zeigt Möglichkeiten für die politische Gestaltung eines nachhaltigen Umgangs mit Land auf. Die Überlegungen aus dem Jahr 2020 unter dem Titel Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration sind auch drei Jahre später noch immer aktuell. Die Ansprüche der Menschheit an die Nutzung von Land sind zahlreich. Die Zerstörung von Land verschärft gleichzeitig drei globale Krisen: Die Klimakrise, die Biodiversitätskrise und die Ernährungskrise. Je weniger naturbelassenes Land verbleibt, desto ausgeprägter werden die Nutzungskonflikte. Das Gutachten setzt sich deshalb unter dem Titel Trilemma der Landnutzung mit dieser Konkurrenzsituation auseinander.
In meinem Beitrag möchte ich Euch die wichtigsten Lösungsansätze zur Überwindung von Land-Nutzungskonflikten aufzeigen, die das Gutachten thematisiert hat. Hier findet ihr die offizielle Übersicht über den Inhalt des Gutachtens und hier gibt es das ausführliche Hauptgutachten als PDF.
Das Trilemma der Landnutzung
Trilemma bedeutet eine Wahl aus drei Optionen, bei der jede der drei Optionen als inakzeptabel oder ungünstig erscheint.
Leider gibt es zwischen Klimaschutz, Ernährungssicherung und Erhaltung biologischer Vielfalt (Biodiversität) oft Konkurrenzen. Der WBGU bezeichnet dies als Trilemma der Landnutzung. Manchmal wird dieser Begriff auch für die Konkurrenz zwischen einer nachhaltigen, sozial gerechten und wirtschaftlich rentablen Landnutzung verwendet. Zur Überwindung dieses Trilemmas ist ein Vorgehen erforderlich, das keine der drei anfänglich genannten Krisen auf Kosten der anderen beiden löst.
Biologische Vielfalt
Die Biodiversität ist uns sehr wichtig! Sie nimmt aber in erschreckender Geschwindigkeit stetig ab. Über die Biodiversitätsinitiative, die 2024 in der Schweiz zur Abstimmung kommen wird und die dieser Entwicklung gegensteuern will, haben wir bereits einen Beitrag veröffentlicht. Ein anderer Beitrag befasst sich mit den Roten Listen, die Indikatoren bei der Bewertung der Artenvielfalt darstellen. Ein Praxisbeispiel widmet sich der Thematik der Förderung der Bodenlebewesen.
Globale Landwende durch Integrierten Landschaftsansatz
Die Forderung des Gutachtens ist klar: Wir müssen unseren Umgang mit Land unbedingt rasch und grundlegend verändern. Andernfalls wird es uns nicht (mehr) gelingen, die Klimaschutzziele zu erreichen, den dramatischen Biodiversitätsverlust zu stoppen und die Ernährung weltweit nachhaltig zu gestalten.
Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Nutzungsansprüchen können wir angesichts der vielfältigen Wechselwirkungen nur überwinden, wenn wir Strategien wählen, die auf ein und derselben Landfläche gleichzeitig mehrere Ziele verfolgen. Das Gutachten bezeichnet dies als «integrierter Landschaftsansatz». Es braucht also eine Kombination von Schutzmassnahmen und multiplen – statt einseitigen – Nutzungen auf demselben Stück Land. Damit liesse sich eine globale Landwende hin zur Nachhaltigkeit erreichen.

Land als globales Gemeingut
Während um das Jahr 1700 herum der überwiegende Teil der Landfläche auf unserer Erde noch weitgehend naturbelassen war, entsprachen 2020 lediglich noch circa 23 Prozent der weltweiten Landfläche einer Wildnis.
Die Wissenschafter weisen darauf hin, dass Land ein globales Gemeingut darstellt. Alle Akteure der Welt müssen deshalb dafür Verantwortung übernehmen. Anstrengungen sind somit auf lokaler, nationaler, internationaler und supranationaler Ebene notwendig. Einzelne Pionierinnen und Pioniere stehen ebenso in der Pflicht wie Behörden, Staaten und Organisationen. Neu zu gründende multinationale Allianzen könnten vor allem grenzüberschreitend regionale Probleme rasch angehen. Nur wenn wir auf ein und derselben Landfläche mehrere Ziele gleichzeitig weiterverfolgen, können wir Nutzungskonkurrenzen überwinden und sowohl Klimaschutz als auch Biodiversitätserhaltung und Ernährungssicherung gewährleisten.
Die Überwindung der Konkurrenz durch Ausrichtung auf Integration schafft «Mehrgewinne». Wer beispielsweise seine Ackerfläche zu einem Ort vielfältiger Agrobiodiversität umgestaltet oder seine Weideflächen auch als Kohlenstoffsenke nutzt, schafft solche Mehrgewinne.
Mehrgewinnstrategien
Das Gutachten nennt fünf Beispiele für eine Mehrgewinnstrategie:
1. Ausbau und Beschleunigung der Renaturierung von Landökosystemen
Eine landbasierte Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre kann allerdings den Druck auf Land zusätzlich erhöhen. Deshalb muss bei der Bewertung von Massnahmen klar zwischen der Vermeidung von CO2-Emissionen und der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre unterschieden werden. Die Wiedervernässung von Mooren ist ein Beispiel, wie wir nachhaltig CO2 speichern und gleichzeitig besondere biologische Lebensgemeinschaften erhalten können.
2. Ausweitung, Aufwertung und bessere Vernetzung von Schutzgebietsystemen
Der Erhalt von Ökosystemen bzw. das Ausscheiden und Vernetzen von Schutzzonen kommt dem Klimaschutz zugute, indem beispielsweise natürliche Kohlenstoffspeicher erhalten bleiben. Dabei können nachhaltige Nutzungsformen in Teilbereichen einer Schutzzone durchaus menschliche Aktivitäten zulassen. Lebensräume und Kenntnisse indigener Völker spielen hier eine wichtige Rolle. Diese Völker haben die von ihnen bewohnten Ökosysteme weitgehend noch nicht intensiv bewirtschaftet.
3. Abkehr von der industriellen Landwirtschaft zu Gunsten einer vermehrten Diversifizierung
Landwirtschaft ist die Basis der Ernährungssicherung. Die industrielle Landwirtschaft wirkt sich jedoch in weiten Teilen der Welt negativ auf die Biodiversität und den Klimaschutz aus und degradiert die Böden. Anzustreben sind vermehrt Kreislaufwirtschaften. Verbessertes Nährstoffrecycling (besonders beim Phosphor), Förderung agrarökologischer Praktiken sowie eine stärkere Verknüpfung von Agrarhandel und Subventionierung mit Nachhaltigkeitskriterien würden die dringend notwendigen Mehrgewinne generieren.
4. Änderung der Ernährungsstile durch die Verringerung von Tierprodukten
Die tierproduktlastige Ernährung in Industrieländern, angesichts wachsender Mittelschichten aber zunehmend auch in Schwellen- und Entwicklungsländern, wirkt sich negativ auf das Klima, die Biodiversität und die Ernährungssicherung aus. Die Schärfung des Bewusstseins für solche Auswirkungen sowie das Schaffen von Anreizen durch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen können eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten und der Nahrungsmittelproduktionen begünstigen.
5. Bioökonomie (stoffliche oder energetische Nutzung von Biomasse) verantwortungsvoll gestalten und dabei Holzbau fördern
Die Nutzung von Biomasse ist mit einem begrenzenden Rahmen und Verbrauchsreduktionszielen zu verknüpfen. Ausserdem ist eine Priorisierung nach Einsatzarten notwendig: An erster Stelle steht die Ernährung, danach folgen stoffliche und energetische Anwendungen. Dabei sollten Anwendungen bevorzugt werden, bei denen Biomasse – und damit auch der enthaltene Kohlenstoff – lange gespeichert wird. Das Bauen mit Holz – aber nur aus standortgerechter, nachhaltiger Waldwirtschaft! – ist dafür ein gutes Beispiel. Umweltkosten bei Alternativprodukten müssten eingepreist werden (wie der CO2-Preis bei Zement), um verstärkt Anreize für nachhaltiges Bauen mit Holz zu setzen. Die stoffliche und energetische Nutzung von Nebenprodukten aus der Agrar- und Forstwirtschaft können besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern zu wirtschaftlich nachhaltiger Entwicklung und Ernährungssicherung beitragen.
Inputs auch für Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner
Die Ausführungen zu den 14 im Gutachten genannten «Komponenten» der Mehrgewinnstrategien für diversifizierte Landwirtschaftssysteme sind für uns in den Schrebergärten ebenfalls interessant, auch wenn die Forschenden vornehmlich die gewerbliche Landwirtschaft vor Augen hatten. Es geht um Themen bzw. «Komponenten», die uns ebenfalls betreffen, wie klimaschonende Bio- und Depotdünger, klimaschonender Ökolandbau, (boden-)konservierende Landwirtschaft, Anbau vergessener und unternutzter Kulturarten und Permakultur als multifunktionales Gartenbausystem. Die Seiten 171 f. (Tabelle 3.3-2) im ausführlichen Hauptgutachten enthalten eine Übersicht über die verschiedenen Komponenten der Mehrgewinnstrategien. Dargestellt sind landwirtschaftliche Produktionssysteme, die das Potenzial haben, einen Beitrag zur Entschärfung des Trilemmas zu leisten.
Auszüge aus dem Hauptgutachten
Folgende von mir beispielhaft herausgepickte Zitate stammen aus dem ausführlichen Hauptgutachten.
Boden- / konservierende Landwirtschaft (Seite 163)
«Schlüsselelemente der konservierenden Landwirtschaft sind der Verzicht auf den Pflug, eine permanente Bodenbedeckung und die Einhaltung einer Fruchtfolge. Die minimale Bewegung des Bodens hat mehrere positive Wirkungen, vor allem die fast vollständige Vermeidung von Bodenerosion (…). Zudem werden Bodenstruktur und Wasserhaushalt verbessert (…)». Oder: «Urbane Gärten sind oft Lern- und Kommunikationsorte für den Erwerb grundlegender Kenntnisse über landwirtschaftliche Produktion und Gartenbau, aber auch Treffpunkte, um gemeinsam etwas zu erschaffen.»
Anbau vergessener und unternutzter Kulturarten (Seite 166)
«Der Anbau der vergessener Kulturarten hat zahlreiche Vorteile. Er diversifiziert Landwirtschaftssysteme, hebt die Ernährungsqualität und trägt zum Einkommen sowie zur Erhaltung wertvoller genetischer Ressourcen bei.»
Permakultur als multifunktionales Gartenbausystem (Seite 167)
«Spezifisch für Permakultur ist die optimale Nutzung des begrenzten Raumes. Pflanzen werden vertikal angeordnet und nutzen unterschiedliche Raumschichten optimal aus. (…) Auf diese Weise wird mit einem hohen Arbeitseinsatz ein hoher Flächenertrag mit diversifizierten Kulturarten und jeweils unterschiedlichen Funktionen erzielt. Entsprechend wird Permakultur gerne im (peri)-urbanen Raum als Gartenbausystem in Projekten angewandt, in denen Fläche knapp ist und sich soziale Ziele ideal mit dem Gartenbau verbinden lassen.»
(Peri-)urbane Landwirtschaft (Seite 169)
Zur «Produktion von Lebensmitteln in Städten und den umgebenden Räumen» gehört auch «das kleinteilige urban farming bzw. urban gardening, oft auf Brachflächen oder sonstigen Lücken in der Bebauung, das teilweise Ähnlichkeiten mit den klassischen Schrebergärten aufweist». (…) «Herausforderungen beim urban farming bestehen, gerade in wachsenden Metropolen, durch die Konkurrenz zu anderen Nutzungen, ob Bebauung oder auch Erzeugung erneuerbarer Energien.»
Nutzungskonflikte
Ich befasse mich übrigens mit dem Thema, wonach auch die Schweizer Familiengärten immer stärker von den verschiedensten Nutzungskonflikten – wie neu auch Energiewende oder Renaturierungen – betroffen sind, auch in unserer Zeitschrift Gartenfreund / Jardin Vivant, in der Ausgabe Februar / März 2024. Ausserdem wird, wie ich in einem anderen Beitrag darlege, vor allem bei städtischen oder stadtnahen Familiengärten eine Umnutzung zunehmend zum Thema und stellt damit die traditionelle Form der Gartenbewirtschaftung in Frage.
Jacqueline Cortesi