Der Diskurs zur Anwendung giftiger Pflanzenschutzmittel im Privatbereich
Mit einer am 17. Dezember 2020 eingereichten Motion (20.4579) forderte die Ständerätin Maya Graf (Grüne) ein Zulassungsverbot für die nicht-berufliche Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, die für Menschen, Insekten oder Gewässerlebewesen toxisch sind. Der Ständerat nahm die Motion an, der Nationalrat veränderte das Verbot als Zweitrat in eine Ausbildungspflicht. Damit ging das Geschäft zurück in den Ständerat. Dieser hat in der Zweitberatung die Motion als inzwischen erfüllt abgelehnt. Nach Auffassung des SFGV wurde damit eine Chance zu weitergehenden Massnahmen verpasst.
Beratung im Ständerat: Annahme der Motion
Graf begründete die Motion unter anderem – mit Verweisung auf eine Studie des Bundesamts für Umwelt aus dem Jahr 2018 (Stand der Umsetzung des Herbizidverbots) – mit einem grossen Handlungsbedarf im Bereich der nicht-beruflichen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Sie wies darauf hin, dass in der Schweiz gemäss Fachleuten rund 10 Prozent aller verkauften Pestizide durch Hobbygärtnerinnen und -gärtner ausgebracht werden. Das entspricht rund 200 Tonnen an teilweise hochgiftigen Wirkstoffen. lm Gegensatz zu beruflichen Anwenderinnen und Anwendern besuchten Private keine Ausbildung. Auflagen zur Anwendung von Pestiziden im Hobby-Bereich blieben vermutlich weitgehend unbeachtet.
Im Februar 2021 beantragte der Bundesrat dem Parlament die Ablehnung der Motion. Er verwies auf das bereits geschnürte Massnahmenpaket des Aktionsplans 2017 zur Risikoreduktion von Pflanzenschutzmitteln.
Der Ständerat sah dies anders: Er hat die Motion am 30. Mai 2022 angenommen. Bei der Debatte votierte Hannes Germann (SVP) vergeblich damit, die Motion sei nicht mehr nötig: Seit dem 1. Januar 2021 dürften die Produkte aus der Anwenderkategorie der beruflichen Verwender nicht mehr an nicht-berufliche Verwenderinnen und Verwender abgegeben werden. Zudem seien für nicht-beruflich Verwendende strengere Zulassungsvorschriften für Pflanzenschutzmittel vorgesehen.
Die Debatte im Nationalrat: Abänderung der Motion
Die Mehrheit der vorberatenden Kommission des Nationalrats (Kommission für Wirtschaft und Abgaben) beantragte ihrem Rat eine Änderung der Motion. Demnach soll der Bundesrat die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Pflanzenschutzmittel nur noch an nichtberufliche Anwenderinnen und Anwender verkauft werden, die über eine angemessene Ausbildung in diesem Bereich verfügen. Dies analog zur Ausbildung, die für die berufliche Anwendung erforderlich ist.
In der vorberatenden Kommission nicht durchgesetzt hatten sich zwei Minderheitsmeinungen: Die eine beantragte die Ablehnung der Motion und wollte weiterhin auf Eigenverantwortung setzen. Die andere Minderheit befürwortete, wie zuvor der Ständerat, das Zulassungsverbot.
Markus Ritter (Die Mitte.EVP), der auch Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes ist, argumentierte im Nationalrat vor allem mit der Gleichbehandlung zwischen professionellen und privaten Nutzerinnen und Nutzern.
SRF News – zu Besuch im Familiengarten
Schätzungen zu Folge werden zehn Prozent der verkauften Pestizide hierzulande von Hobbygärtnern eingesetzt (Quelle: SRF News). Das ist zu viel, wie der Ständerat 2022 fand, der den Gebrauch von Pestiziden in Privatgärten stark einschränken will. Der Journalist Sven Niederhäuser hat für SRF News den Präsidenten des Schweizer Familiengärtner-Verbands, Otmar Halfmann, vor Ort in seinem Familiengarten in Lyss besucht. Den Bericht und das Interview sehen Sie hier in der Tagesschau vom 31. Mai 2022.
Gemäss Otmar Halfmann sind die Böden schon heute stark verschmutzt. Darum sollten wir uns auferlegen, wenigstens den Möglichkeiten zu entsprechen, die es heute gibt, und keine chemischen Stoffe mehr im Privatgärten einsetzen.
Otmar Halfmann über die geplante Einschränkung von schädlichen Pflanzenschutzmitteln im Privatbereich
Wenn wir diese Produkte nicht mehr finden ist auch die Entscheidung was wir wo und wie verwenden nicht mehr uns Konsumenten aufgelastet, und damit auch nicht mehr in unserer Verantwortung. Es geht um hochkomplexe chemische Zusammenhänge. Der Einzelne ist damit überfordert.
Otmar Halfmann
Beratung im Nationalrat: Änderung der Motion
Bundesrat Alain Berset beantragte auf der Basis der bisherigen bundesrätlichen Argumentation die Ablehnung sowohl der ursprünglichen als auch der abgeänderten Motion.
Der Nationalrat beschloss jedoch am 14. September 2022 die Annahme der geänderten Motion. Damit ging das Geschäft wieder zurück an den Ständerat. In der Presse wurde nach dem Nationalratsentscheid unter anderem gemutmasst, ob der geänderte Vorstoss von den Gegnerinnen und Gegnern jeglicher Massnahme nicht vielleicht als politischer Trick eingebracht wurde. Dies mit der Absicht, die Änderung als zu bürokratisch für den Privatbereich ebenfalls zum Absturz zu bringen.
Zweitberatung im Ständerat: Ablehnung der Motion
In der Tat hat der Ständerat bei der Zweitberatung die Motion am 14. März 2023 abgelehnt. Er erachtete sie als inzwischen weitgehend erfüllt. Damit ist das Geschäft erledigt.
Maya Graf zeigte sich in der Debatte enttäuscht, anerkannte aber auch, dass sich seit der Einreichung der Motion vor mehr als zwei Jahren zum Glück tatsächlich viel getan habe. Bundesrat Alain Berset verwies auf die Liste der Pflanzenschutzmitte (PSM), die für nichtberufliche Verwenderinnen und Verwender zur Verfügung stehen. Da keine fachliche Ausbildung vorausgesetzt werden kann, ist die Palette der für sie zugelassenen Pflanzenschutzmittel eingeschränkt. Aufgrund der Revision der Pflanzenschutzmittelverordnung vom 16. November 2022 können Pflanzenschutzmittel zudem nicht mehr an nichtberufliche Verwenderinnen und Verwender abgegeben werden, wenn sie als krebserregend, die Fruchtbarkeit beeinträchtigend oder das Kind im Mutterleib schädigend, Gewässer gefährdend oder als für Bienen gefährlich gekennzeichnet sind. Es gibt eine Übergangsfrist von zwei Jahren, die das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) braucht, um die Bewilligungen für sämtliche Produkte zu prüfen und zu entscheiden, ob die Bewilligungen angepasst oder widerrufen werden müssen. Anschliessend wird es noch eine zwölfmonatige Abverkaufsfrist geben.
Maya Graf sagte dazu: «Wenn jetzt wie vorgesehen rund drei Viertel der bisher zugelassenen Produkte nicht mehr für den Privatgebrauch angewendet werden dürfen und fachgerecht entsorgt werden müssen, braucht es unbedingt eine Informationskampagne, damit das wirklich bei den Leuten vor Ort und natürlich auch bei denjenigen ankommt, die diese Produkte während der Übergangsfrist weiterhin anbieten können. Das ist sehr wichtig, damit die Umsetzung auch wirklich klappt.»
Auch die Kleinbauern-Vereinigung hatte sich im Abstimmungskampf 2021 zur «Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» für ein Ja eingesetzt. Hier berichten wir über die Pestizid-frei-Aktionswoche der Kleinbauern-Vereinigung.
Jacqueline Cortesi